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„Die blaue Tundra“ Theaterstück.
Österreichischer. Bühnenverlag/Kaiser &
Co
Verlegt in der Literaturedition der Niederösterreichischen
Landesregierung
(Auszug
aus dem 1. Akt)
Stille. Nach einiger Zeit sagt JOE, als hätte es
nie Streit gegeben:
JOE:
Mein Feuerwehrauto kann fliegen, schwimmen und tauchen.
Eine Lampe auf die Leiter hängen, fahren, sich verstecken
und zwar in der Höhle. Dann hat es einen Handkopf
und mit dem Handkopf kann es den Schnee von der Leiter
essen wenn es gefährlich ist. Gestern auch.
COTTI:
Gestern war überhaupt kein Schnee. Weil da war meine
Mama krank und hat einen guten Tee bekommen, der war ganz
überhaupt nicht bitter. Nur ein bisschen. Aber auch
süß. Und in ihr Zimmer hat niemand hineingehen
dürfen, nur ich. Ich hab bei ihr schlafen dürfen.
Du nicht. Ich war ganz alleine und hab aufgepasst, weil
sie so krank und ganz lieb war zu mir. Schlaf, mein Kind,
schlaf ein. Wir haben auch einen kleinen Zug gehabt. Mit
dem sind wir in den blauen Wald gefahren und haben uns
verborgen.
HANNI:
Ich hab einen Hunger.
ELLA:
Hunger ist scheiße. Lass uns lieber was spielen.
JOE:
Ich hab im Heim überhaupt keine Suppe bekommen. Aber
heißes Brot. Dann hat einer fremde Möbel in
das Haus getragen und ich hatte nichts mehr zum Sitzen.
Natürlich war mein Dackel wie ein lustiges Kind im
vielen Schnee. Aber einmal, da haben sie ihn erschossen.
Und schon hat meine Tante gesagt, jetzt braucht sie auch
keinen neuen Dackel mehr.
ELLA:
Aber die Cotti ist am allermeisten krank von uns allen.
Wir nicht. Darum hat ihr der alte Mann eine Spritze in
die Augen geben müssen. Und die Cotti hat natürlich
geheult. Und wenn mein Papa kommt, dann kann sie was erleben.
JOE:
Die Cotti hat einen lieben Papa und einen bösen.
Das sagt sie immer. Das können wir spielen. Du (ELLA)
bist der böse Papa und ich bin der liebe. Die Hanni
ist das Kind. Aber weil ich der liebe bin, darf sie nur
bei mir liegen und ich streichel sie in der Nacht wegen
den bösen Vampiren im Traum.
COTTI:
Bei mir ist das nicht wie du sagst. Aber wenn ich frisch
behandelt bin, darf ich nichts spielen, hat der alte Mann
gesagt. Wegen dem Kopf. Und wenns nicht mehr weh tut,
dann freu ich mich. Dann spielen wir Prinz und Prinzessin.
Ich bin die schöne Prinzessin mit dem goldenen Schloss.
ELLA:
Klar. Die Joe ist der König und ich bin die Königin.
Weil wir alles unter der Kontrolle haben und ein Königreich
dazu und eine Sandburg.
JOE:
Und ein Feuerwehrauto.
ELLA:
Genau. (ELLA steht auf und stellt sich vor die Anrichte)
Darf ich eintreten, mein königlicher Gemahl?
JOE:
Komm zu mir, Weib, wir müssen regieren.
ELLA klettert die Anrichte hoch und setzt sich neben
JOE.
ELLA:
Ich hab natürlich ein Supergewehr für den Feind
und wenn der Mond aufgeht, dann schieß ich.
JOE:
Und ich sitze auf dem Thron mit meiner Kasperlmütze
und kümmer mich um das Land und um die Bauern und
die Arbeiter. Wie schön ist unser Land, wie schön
ist unser Land, wie schön, schön, schön
ist unser Land. Hoch lebe der König. Hurra!
ELLA:
Darf ich eine rauchen.
JOE:
Nur gegen ausgreifen.
ELLA:
Okey.
(Auszug
aus dem 2. Akt)
Die Leichen sind hinausgeschafft, der Tisch ist mit der
Tischplatte gegen die aufgestellte Tür gelehnt, die
Stühle sind dahinter an der rechten Wand zusammengestellt,
vom Kronleuchter hängt die Taschenlampe des Soldaten,
die auch mit einer Neonröhre ausgestattet ist. Dadurch
ist der Raum recht hell, aber ungemütlich kalt
Der Rucksack und das Maschinengewehr des Soldaten lehnen
in der linken, hinteren Ecke. Spielzeug und zerborstene
Gläser sind aus dem Zimmer geräumt, die alten
Matratzen liegen zu einem großen Bett zusammen geschoben
in der Raummitte. Eine Wolldecke ist darüber gebreitet.
HANNI und der Soldat sitzen nebeneinander auf dem Bett.
Der Soldat ist nur mit seinen Boxershorts bekleidet, HANNI
trägt Unterhose und Männerhemd. Sie ist im Gesicht
stellenweise von der Tarnung des Soldaten Ruß verschmiert.
Sie rauchen beide selbst gedrehte Zigaretten.
Sonst geschieht nichts.
Der Soldat raucht gleichmäßig und inhaliert
tief. HANNI pafft nur.
Der Soldat ist früher fertig als HANNI. Er dreht
sofort zwei neue Zigaretten.
Alles, was der Soldat tut, geschieht mit einer selbstverständlichen,
kraftvollen Ruhe.
Er legt die eine Zigarette neben HANNI und zündet
sich die andere Zigarette an.
Sie rauchen.
HANNI:
Wenn es heraus will, müssen wir sofort in ein Krankenhaus
fahren. Wir hätten den schweren Tisch nicht so fest
vor die Tür nageln sollen. Weil es muss ja dann alles
sehr schnell gehen. Der liebe Gott hat keine Zeit mit
der Geburt.
Stille.
HANNI:
Wenn du mir hilfst, können wir auch eine Hausgeburt
machen. Ich bin eine natürliche Mutter im besten
Alter.
Sie drückt ihre Zigarette in die Kaffeetasse,
die als Aschenbecher dient.
HANNI:
Rauchen ist schön, schadet aber dem Baby. In meiner
Familie haben deshalb immer nur die Männer geraucht.
Ich bin sehr froh, dass ich auch einen Mann für mein
Leben gefunden hab. Ein Kinderwagen ist schon da. Windeln
auch. Weißt du, was gut ist?
Der Soldat reagiert nicht, HANNI lächelt:
HANNI:
Dass ich alles rechtzeitig geübt hab, was eine Mama
können muss. Wickeln. Kochen. Aufpassen. Wenn das
Kind die Zähne kriegt, müssen wir uns teilen.
Stille.
Der Soldat raucht.
Sie lächelt den Soldaten an.
HANNI:
Du wirst ein guter Papa sein, das weiß ich jetzt
schon.
Der Soldat mustert sie.
Dann streicht er sich mit seiner Hand wie mit einer Pfote
über das Gesicht.
Er raucht.
Stille.
HANNI:
Meine Barbie ist natürlich schon manchmal schlimm
gewesen. Aber das hab ich ihr abgewöhnt. In dieser
Welt. Und zu zweit geht alles leichter. Meine Mama haben
sie ja schließlich auch hingerichtet. Das war dann
für meinen Papa gar nicht so leicht. Und drum hat
er sich aufgehängt. Ich hab das gleich gewusst, aber
meinen Freundinnen hab ichs nie erzählt. Siehst du,
und jetzt sind wir auch schon eine Familie. So schnell
geht das alles im Leben.
Der Soldat drückt die Zigarette in der Kaffeetasse
aus, steht auf, geht zur Anrichte, holt sich eine Konservendose
>Überlebensbrot<, kommt zurück, setzt
sich, öffnet die Dose und stopft sich das Brot in
den Mund.
HANNI:
Du musst langsamer essen. Männer können das
nicht. Aber es ist schlecht für den Magen. Das sagt
meine Mama. Und die muss es wissen, weil mein Opa ja durch
den Bauch gestorben ist. Und ohne Trinken sowieso.
Sie steht auf und holt ihm ein Glas Wasser. Sie hält
ihm das Glas vor das Gesicht.
HANNI:
Da, Mann.
Der Soldat hält inne, mustert sie, nimmt das
Glas, trinkt es in einem Zug aus, gibt ihr das Glas zurück,
isst weiter. HANNI schüttelt den Kopf. Sie bleibt
stehen und schaut ihm zu.
Der Soldat isst das Brot zu Ende, gibt HANNI die leere
Dose und dreht sofort zwei neue Zigaretten. Die eine legt
er zu der anderen für HANNI auf das Bett, die zweite
zündet er sich an. Er starrt wieder vor sich hin
und raucht.
HANNI steht bei ihm, das leere Wasserglas in der einen,
die leere Brotdose in der anderen Hand und schaut ihn
an. Dann schüttelt sie wieder den Kopf und sagt ganz
unvermittelt:
HANNI:
Männer.
Sie geht zur Anrichte, stellt die Dose ab, füllt
das Wasserglas halb mit Wasser, trinkt es aus, stellt
es ab, kommt zurück, schaut den Soldaten an, kratzt
sich am Hintern.
HANNI:
Wenn wir Hochzeit haben, musst du natürlich tanzen
können. Kannst du tanzen?
Sie nimmt seine Hand und zieht ihn hoch.
HANNI:
Komm, wir üben das jetzt.
(Auszug aus dem 3. Akt)
Sie bringt das Geschirr zur Anrichte, rollt das Tischtuch
zusammen, wirft es in die Ecke, holt Bettzeug und legt
es auf den Tisch.
HANNI:
Mama? - Ja, mein Kind? - Warum müssen wir immer auf
dem Tisch schlafen? - Weil wir da heroben sicher sind
vor den Schlangen und vor den anderen Raubtieren, vor
den bösen Feinden und vor dem Hochwasser. - Mama?
- Ja, mein Kind? - Es ist gut, dass wir alle zusammen
sind, stimmts? - Ja, mein Kind. Alles ist gut. Und jetzt
schlaf schön
Sie ordnet das Bettzeug auf dem Tisch, legt die Puppe
unter die Decke und gibt ihr einen Kuss.
HANNI:
Mama, vorlesen. - Pst, Kind, heute nicht, ich bin schon
so müde. - Oh ja, bitte. - Also gut, aber wirklich
nur eine ganz kurze Geschichte, ausgemacht. - Ja, juhu,
vorlesen. Und kuscheln. - Also:
Sie setzt sich zur Puppe auf den Tisch und beginnt
zu erzählen. Zuerst langsam, mit längeren Suchpausen,
ihr fällt nicht wirklich etwas ein, aber im Verlauf
erfindet sich die Geschichte dann fast von selbst und
HANNI erzählt immer flüssiger, immer spannender.
HANNI:
Es war einmal, vor langer, langer Zeit, ... da lebte ein
großer, ... nein, ein kleiner, ... Fisch. Der lebte
in einer Mühle mit seiner Frau und mit seinen beiden
Kindern. ... Ganz woanders wieder, da lebte eine alte
Hexe. ... Die hatte auch eine Mühle. Aber eine Windmühle.
... Die lebte auch nicht im finsteren Wald, wie der Fisch.
Bei dem war es kalt und finster und der Gebirgsbach rauschte
über das Mühlrad hinweg und die dunklen Tannenbäume
krächzten und fielen über die Wandersleute her.
... Die Windmühle von der guten Hexe stand auf einem
Hügel und schlief schon fast, weil die Sonne schon
heimging, nur mit einem Auge blinzelte sie noch, ob auch
alles stimmt auf dem Hügel und im Tal. Alles war
ruhig. ... Trrrrr! Dingedingeding! der Wecker läutete,
denn die liebe Hexe musste schon aufstehen. Sie schlief
immer am Tag und arbeitete in der Nacht. Da flog sie durch
das Tal, ernährte sich von Himbeeren und von Brombeeren
und manchmal auch von Preiselbeeren, wenn sie welche finden
konnte, und passte auf die kleinen Kinder auf, dass sie
schön brav schlafen und gute Träume haben und
sich nicht fürchten. ... Preiselbeeren mochte die
liebe Hexe am allerliebsten von allen Beeren. Und die
Windmühle war froh, dass sie jetzt endlich schlafen
konnte. Sie machte noch einmal ganz leise schschschschsch
mit ihrem Windrad und schlief sofort ein. Die Hexe hatte
schon ihren Kakao getrunken, setzte sich auf ihren Besen
und zssssst, sauste sie den Hügel hinunter und in
den Wald. Plötzlich sah sie unten ein großes,
großes Preiselbeerfeld. Sie freute sich, flog hinunter
und wollte gleich ihr Frühstück essen. Aber
kaum hatte sie die Preiselbeeren berührt, da klebte
sie auch schon fest und kam nicht mehr los. So sehr sie
sich auch bemühte, wieder wegzufliegen, sie klebte
nur noch fester. Da sah sie plötzlich, dass rund
um das Erdbeerfeld ... um das Preiselbeerfeld genauer
gesagt, lauter riesige Eisenspinnen standen, die sich
ganz langsam auf sie zubewegten. Die kleine Hexe schrie,
aber die Eisenspinnen kamen immer näher. Plötzlich
schalteten sie auch die Sirenen ein, sodass man das Schreien
von der kleinen Hexe überhaupt nicht mehr hören
konnte. Niemand im Dorf wusste, warum die Kinder alle
so schwitzten im Schlaf und sich hinundherwältzten
und ganz schlecht schliefen und ein paar Kinder weinten
auch im Schlaf und schrien, aber das hörte die Windmühle.
Ihr fiel gleich der alte Fisch ein, der in seiner Mühle
im schwarzen Gebirgstal wohnte, und der Windmühle
noch einen Gefallen schuldig war. Sofort funkte ihm die
Windmühle mit ihren Windrädern, dass die liebe
Hexe in großer Gefahr ist und der alte Fisch, der
sehr stark war, stürzte auch gleich den Gebirgsbach
in eine andere Richtung, und alle Eisenspinnen mussten
ersaufen. Aber das schnelle Wasser hat dabei leider auch
die liebe Hexe mitgerissen und der Fisch musste ganz schnell
schwimmen, daß er sie noch erwischt hat. Seither
isst die liebe Hexe nur mehr Beeren, die ihr die Kinder
aufs Fensterbrett stellen, damit sie nur schöne Träume
haben. Und jetzt schlaf gut, Kind, die liebe Hexe wartet
schon.
Sie küsst ihre Puppe, steigt vom Tisch herunter,
zieht die Stiefel des Soldaten an und singt dabei leise
vor sich hin. |
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